Sonntag, 2. Januar 2011

Interview mit Silvia Neid

04.01.2010 10:00 Frauen-Nationalmannschaft DFB.DE GESPRÄCH DER WOCHE

Neid: "Die Zeit bis zur WM wird wie im Flug vergehen"

Fokussieren auf die WM 2011: Silvia Neid  © Bongarts/GettyImages
Fokussieren auf die WM 2011: Silvia Neid

Man könnte meinen, 2010 ist ein Übergangsjahr für die deutschen Frauen. Denn nach dem Titelgewinn bei der EURO 2009 und vor der WM 2011 liegt ein Jahr ohne großes Turnier vor der Frauen-Nationalmannschaft. Aber Silvia Neid duldet kein Verschnaufen. Für die DFB-Trainerin sind die kommenden Monate mit Blick auf die Vorbereitung für das große Frauenfußball-Fest in eineinhalb Jahren in Deutschland extrem wichtig.

Im DFB.de-Gespräch der Woche mit DFB-Redakteur Niels Barnhofer resümiert Silvia Neid das erfolgreiche Jahr 2009 zurück, erzählt, wie viel Positives sie und die Spielerinnen aus den jüngsten Erfolgen ziehen können, skizziert den Fahrplan der Nationalmannschaft bis zur WM und erklärt, warum sie so gespannt auf die U 20-WM 2010 in Deutschland ist.

DFB.de: Silvia Neid, WM 2007, Olympische Spiele 2008, EURO 2009 – und 2010 kein großes Turnier. Wie kriegen Sie die kommenden zwölf Monate bloß rum?

Silvia Neid: Das ist nicht schwer. Seit dem Ende der Europameisterschaft in Finnland fokussieren wir komplett auf die Weltmeisterschaft 2011 im eigenen Land. Wir sind mitten in der Vorbereitung. Bis zum Eröffnungsspiel am 26. Juni 2011 in Berlin sind es noch knapp eineinhalb Jahre. Diese Zeit wird mit Sicherheit wie im Flug vergehen, weil der Terminkalender proppenvoll ist. Außerdem haben wir mit der U 20-WM in Deutschland ein äußerst interessantes Turnier im eigenen Land. Wir werden uns die Spiele sehr genau anschauen, schließlich wird man aus den dort gewonnenen Erkenntnissen interessante Rückschlüsse mit Blick auf die WM 2011 ziehen können.

DFB.de: Was steht dabei für die Frauen-Nationalmannschaft auf dem Programm?

Neid: Die Termine für die erste Jahreshälfte 2010 sind fix. Es geht los mit einem Leistungstest im Januar. Am 17. Februar steht das erste Länderspiel in Duisburg gegen Nordkorea an. Im Anschluss daran nehmen wir vom 24. Februar bis 3. März am Algarve Cup teil. Am 22. April treffen wir in Dresden auf Schweden. Und am 22. Mai spielen wir gegen die USA, da steht der Spielort allerdings noch nicht fest. Damit ist gewährleistet, dass sich die Mannschaft regelmäßig trifft. Außerdem konnten wir unseren Wunsch umsetzen, gegen hochkarätige Gegner zu spielen, was vor dem Hintergrund eminent wichtig ist, dass wir bis zur WM kein Pflichtspiel mehr haben. Die Planungen für die zweite Jahreshälfte sind schon ziemlich fortgeschritten aber noch nicht spruchreif, nur soviel: Wir werden noch mindestens drei Länderspiele im zweiten Halbjahr bestreiten.

DFB.de: Welche Ziele haben Sie sich inhaltlich für 2010 gesteckt?

Neid: Unser Ziel ist es, dass sich die Spielerinnen weiterentwickeln. Wir wollen ihnen helfen, noch besser zu werden. Wir bewegen uns zwar schon auf einem sehr hohen Niveau, aber ich bin davon überzeugt, dass man in vielen Bereichen, häufig auch ganz individuell noch Optimierungen vornehmen kann. Der Frauenfußball hat sich in den vergangenen Jahren schließlich sehr gut entwickelt, und diesen Trend wollen wir weiter mitgestalten. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir uns einen großen Traum verwirklichen wollen: Zum dritten Mal in Folge Weltmeister zu werden. Dazu müssen wir einfach auf dem absoluten Top-Level spielen können.

DFB.de: Um die Bestleistungen aus Ihrer Mannschaft zu kitzeln, haben Sie kontinuierlich das Betreuerteam erweitert. Unter anderem arbeiten Sie mit einem Psychologen zusammen. Wird diese Kooperation fortgesetzt und wird das Funktionsteam weiteren Zuwachs erhalten.

Neid: Die Zusammenarbeit mit unserem Psychologen Dr. Arno Schimpf hat sich absolut bewährt. Er kommt bei den Spielerinnen sehr gut an. Er ist fachlich und menschlich eine Bereicherung für das Team. Und ich denke, sein Rat und seine Hilfe wird auch in Zukunft gefragt sein, denn der Druck, der auf den Spielerinnen bei der Heim-WM lasten wird, wird nicht eben geringer werden. Überhaupt ist unsere gesamte Crew ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft. Über die Jahre, die wir nun schon zusammenarbeiten, sind alle total eng zusammengerückt. Da herrscht durchweg ein freundschaftliches Verhältnis. Und das finde ich sehr gut. Es ist wichtig für die Stimmung im Team und vereinfacht auch die Abläufe, die sind nämlich sehr gut eingespielt.

DFB.de: Was nehmen Sie noch Positives aus dem vergangenen Jahr mit?

Neid: Einiges! Natürlich war der Gewinn der Europameisterschaft ein Highlight. Damit verbinde ich sehr positive Botschaften: Wir sind weiterhin die Nummer 1 in Europa! Die Spielerinnen sind weiterhin hungrig auf Titel! Die Leistung stimmte. Die Leidenschaft ist bei den Spielerinnen da. Sie ziehen mit, trainieren viel, sind lernwillig, sind bereit, über ihre Grenzen zu gehen. Zudem ist es uns erneut gelungen, mit Kim Kulig und Bianca Schmidt junge Spielerinnen in die Nationalmannschaft einzubinden.

DFB.de: Welche Erwartungen haben Sie vor diesem Hintergrund der U 20-WM in Deutschland im kommenden Jahr?

Neid: Ich bin sehr gespannt auf die U 20-WM. Dieses Turnier ist die große Chance für die Talente, sich in den Vordergrund zu spielen. Die Tür zur Frauen-Nationalmannschaft ist auf jeden Fall offen. Allerdings müssen die jungen Spielerinnen dafür absolute Top-Leistungen abliefern. Sie müssen herausstechen aus ihrem Team, es muss erkennbar sein, dass sie Verantwortung übernehmen wollen. Aber auch auf die internationale Konkurrenz bin ich gespannt. Die U 20-WM wird neue Aufschlüsse darüber liefern, wie sich der Frauenfußball weiterentwickelt hat. Wir werden bestimmt einige der Talente der U 20-WM bei der WM 2011 wiedersehen. Ich bin überzeugt, dass man wichtige Rückschlüsse auf die WM in zwei Jahren gewinnen kann.

DFB.de: Wie eng wird Ihre Zusammenarbeit mit Maren Meinert bei der U 20-WM sein?

Neid: Sehr eng! Wir haben grundsätzlich eine sehr gute Verzahnung in dem Trainerteam, das für die weiblichen Nationalmannschaften zuständig ist. Wir stehen in einem permanenten Austausch, so erhalten wir eine größtmögliche Transparenz und einen bestmöglichen Informationsfluss. Zudem gehört Maren Meinert zum Trainerstab der Frauen-Nationalmannschaft. Es ist klar, dass wir sie bei der U 20-WM unterstützen werden. Uli Ballweg wird zusammen mit Bettina Wiegmann als ihre Assistentin beim Team sein. Und ich werde einige Spiele für sie scouten.

Neid (2. v.r.) im Kreise ihrer Spielerinnen  © Bongarts/GettyImages
Neid (2. v.r.) im Kreise ihrer Spielerinnen

DFB.de: Welche Erfahrungen können die Talente bei einer WM gewinnen?

Neid: Ein solches Turnier ist sehr wertvoll für die Entwicklung der jungen Spielerinnen. Hier findet ein Vergleich auf allerhöchstem Niveau statt. Das fordert sie sportlich. Aber sie lernen auch unterschiedliche Mentalitäten auf dem Platz kennen und werden zudem mit verschiedenen Spielsystemen konfrontiert. Das erweitert einfach ihr fußballerisches Wissen.

DFB.de: Gilt das auch für gestandene Nationalspielerinnen – etwa in Vergleichen mit Brasilien und den USA?

Neid: Ja, natürlich. Das waren richtig wichtige Spiele für uns im vergangenen Jahr. Es hilft immer, gegen starke Gegner zu spielen. Auch wenn man nicht gegen sie gewinnt. Sie zeigen einem die Schwächen auf und weisen damit darauf hin, woran noch gearbeitet werden muss. Das sind ganz fundamentale Erkenntnisse, die wir dabei sammeln. Nicht nur als Trainerin, auch als Spielerin. Deswegen verfolgen wir weiter das Ziel, für die kommenden Länderspiele hochklassige Konkurrenz zu verpflichten. Mit Nordkorea und Schweden ist uns das wieder gelungen.

DFB.de: Welche Rolle spielt die Bundesliga in der Vorbereitung der Nationalmannschaft auf die WM 2011?

Neid: Eine ziemlich große. In den Vereinen sind die Nationalspielerinnen zu Hause. Hier werden sie täglich trainiert. Insofern sehe ich die Bundesliga-Vereine als ganz wichtige Partner an. Deswegen stehen wir in einem intensivem Austausch. Und ich bin froh, dass wir im Spitzenbereich eine derart starke Liga haben – die Erfolge im UEFA-Cup und jetzt in der Champions League sprechen für sich. Außerdem möchte mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich für die Kooperation der Liga bedanken, die uns zum Beispiel eine ausführliche direkte Vorbereitung auf die WM ermöglicht, dadurch, dass sie zugestimmt hat, die Bundesliga-Saison 2010/2011 bereits im März zu beenden. Alle Vereinstrainer haben uns ihre Unterstützung zugesagt und zugestimmt, dass wir alles Erdenkliche tun müssen, um den Titel zu verteidigen. Nichtsdestotrotz wird es ein Spagat werden, da bis Mai noch Spiele in der Champions League anstehen, was bedeuten könnte, dass wir auf einige Spielerinnen in einigen Lehrgängen verzichten müssten.

DFB.de: Und was geben Sie den Spielerinnen für das kommende Jahr mit auf dem Weg?

Neid: Natürlich stehen sie auch in der Verantwortung. Am meisten gegenüber sich selbst. Wer bei der WM 2011 im eigenen Land dabei sein will, muss eine entsprechende Leistung zeigen. Da heißt es auch, eigenverantwortlich zu trainieren. Da wir in der Bundesliga kein Profitum haben, müssen die Nationalspielerinnen auch individuell trainieren. An der Unterstützung unsererseits wird es dabei nicht mangeln – wir helfen unseren Spielerinnen, wo es nur geht.

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