02.02.2010 11:40 Frauen-Nationalmannschaft
Norbert Stein: "Athletik kann den Unterschied ausmachen"
Ende Januar absolvierte die Frauen-Nationalmannschaft einen Leistungstest. Es war der erste von voraussichtlich vier Leistungstests in diesem Jahr, die unter der Führung von DFB-Konditionstrainer Norbert Stein durchgeführt werden.
Die Aufgabe des Dozenten am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule in Köln ist, die Nationalspielerinnen fit für die WM 2011 zu machen. Vor dem Länderspiel gegen Nordkorea am 17. Februar in der MSV-Arena in Duisburg spricht DFB-Redakteur Niels Barnhofer exklusiv für DFB.de mit dem Sportwissenschaftler.
DFB.de: Warum werden Leistungstests durchgeführt?
Norbert Stein: Wir können mit einem Leistungstest natürlich nicht messen, wie eine Spielerin fußballerisch unterwegs ist. Aber über die Leistungstests erhalten wir wichtige Aussagen über ganz wesentliche Zubringerleistungen. Das heißt, eine Spielerin muss - um effektiv spielen zu können - schnell, ausdauernd, schnellkräftig und sprungkräftig sein. Diese körperlichen Leistungsfähigkeiten kann man durch solche Leistungstests relativ objektiv messen. Das heißt, mit den Leistungstests unterstützen wir das Trainerauge. Die Trainer beobachten ein Spiel und machen sich ein Bild von der körperlichen Verfassung einer Spielerin. Das sind aber keine objektiven, sondern subjektive Wahrnehmungen. Um den Trainern die Aussage mitzugeben, ist die Spielerin wirklich schnell, ist sie wirklich sprungkräftig, braucht es diese Leistungstests.
DFB.de: Welche Daten erheben Sie dabei genau?
Norbert Stein: Wir erheben nur die Daten, die wir unbedingt brauchen. Das heißt konkret: Als erstes machen wir einen Schnelligkeitstest, mit dem wir die lineare Schnelligkeit messen, also: Wie schnell kann eine Spielerin auf einer geraden Strecke beschleunigen? Wir erheben dabei unterschiedliche Daten. Zum Beispiel, wie schnell die Spielerin auf den ersten fünf Metern ist. Wir ermitteln, wie hoch das maximale Geschwindigkeitsverhalten ist. Wir untersuchen, wie exakt sich das Geschwindigkeitsverhalten aufbaut. An der zweiten Station versuchen wir, durch einen speziellen Testparcours Wendigkeit und Agilität zu bestimmen. Denn einer Spielerin nutzt es nichts, wenn sie nur geradeaus laufen kann, sie muss diese Schnelligkeit in fußballnahen Situationen zeigen können. Hinzu kommt ein Krafttest auf einer Kraftmessplatte. Dabei geht es um biomechanisch orientierte Tests, mit denen wir das Maximal- und Schnellkraftverhalten sowie die Reaktivkraft messen können.
DFB.de: Das heißt, Sie konzentrieren sich stark auf die Schnelligkeit. Wie sieht es mit der Ausdauer aus?
Norbert Stein: Den Ausdauerbereich überprüfen wir genauso. Wir wollen zum einen genau schauen, wie es um die Grundlagenausdauer bestellt ist, und benutzen dafür den Feldstufentest, auch Laktattest genannt. Wir ergänzen diesen Test durch andere Ausdauertests, die zum Beispiel Auskunft über das Stoffwechselgeschehen in der Muskulatur geben. Dabei wird ebenfalls sehr spielnah gearbeitet. Es wird getestet, was passiert, wenn man in einem Spiel verschiedene schnelle Antritte macht, und wie schnell sich die Spielerin wieder erholt. Kurz: Wir versuchen eine Art Screening zu machen. Schwerpunkte sind Schnelligkeit und Kraft, aber auch spezifische Ausdauertests.
DFB.de: Das sind alles standardisierte Tests?
Norbert Stein: Hoch standardisierte Tests. Es gibt wissenschaftliche Gütekriterien, die bei jedem Test angelegt werden. Wir achten sehr darauf, dass diese eingehalten werden.
DFB.de: Sie erheben damit eine Fülle an Informationen. Wie werden diese Daten verarbeitet?
Norbert Stein: Wir versuchen, das Wesentliche herauszufiltern. Aufgabe für uns ist es, diese Datenpools runterzubrechen und vier, fünf griffige Aussagen an die Spielerinnen weiterzugeben. Das versuchen wir, auch optisch zu unterstützten. Dazu erstellen wir ein grafisches Profil für jede Spielerin, welches sie dann an die Hand bekommt. So haben die Spielerinnen einen direkten Überblick, wo sie stehen. Damit es für sie und die Trainer noch einen höheren Aussagewert hat, wird dieses Profil immer wieder mit voran gegangenen Testergebnissen verglichen. Diese Ergebnisse werden mit farbigen Kurven dargestellt, wobei jede einzelne Farbe einen bestimmten Testzeitpunkt darstellt. Zum Beispiel der aktuelle Stand im Vergleich zu den Ergebnissen vor der EM 2009.
DFB.de: Wie kommen die Erkenntnisse zur Anwendung?
Norbert Stein: Von großer Bedeutung sind diese Daten natürlich in einer Turniervorbereitung. Trainingssteuerung hinsichtlich der EM zum Beispiel. Da ist es ganz wichtig, dass die Mädels einen Überblick bekommen: Wo stehe ich am Anfang dieser Vorbereitung, wo stehe ich aktuell? Das gibt ihnen ein entsprechendes Selbstwertgefühl, wenn man denen sagen kann: "Du kannst beruhigt nach Finnland fliegen, deine Werte sind top." Oder der Mannschaftswert im Mittel ist gut. So war das vor der EM 2009 in Finnland. Da konnte man richtig gut darstellen, dass die Mannschaft insgesamt sich deutlich verbessert hat im Laufe dieser Vorbereitungswochen - und das gibt natürlich Selbstvertrauen.
DFB.de: Seit wann führt die Frauen-Nationalmannschaft diesen Leistungstest durch?
Norbert Stein: Ich bin jetzt seit knapp zehn Jahren dabei, und seitdem wurden Leistungstests auch durchgeführt. Am Anfang allerdings noch in anderer, stark vereinfachter Form. Dieses ausgefeilte Instrumentarium, welches wir jetzt anwenden, setzen wir seit 2006 ein.
DFB.de: Haben sich in dieser Zeit die Werte der Spielerinnen signifikant verändert?
Norbert Stein: Ja, sie haben sich verändert. Und zwar so, dass sich das Mittel der Mannschaft immer weiter angehoben hat. Man muss allerdings berücksichtigen, dass sich das Bild, sprich die Zusammensetzung des Teams, stetig verändert. So darf man nicht deutliche Sprünge von Jahr zu Jahr erwarten. In einzelnen Fällen erkennen wir aber auch noch Nachholbedarf. So ein Test ist ja auch da, um Defizite aufzudecken. Wir wollen den Mädels ziemlich klar sagen: Pass auf, in dem Bereich erwarten wir über entsprechendes Training eine Leistungsverbesserung.
DFB.de: Welche Bedeutung messen Sie der Athletik im Frauenfußball bei: Macht sie noch häufig im Spiel einen Unterschied aus?
Norbert Stein: Na klar, Athletik macht im Frauenfußball einen Unterschied aus. Und solange das so ist, hat man natürlich einen Vorteil, wenn die Athletik stimmt. Man muss aber ganz klar sagen: Man darf sich da nicht ausruhen, da das ein Bereich ist, an dem international alle Mannschaften arbeiten können und dies auch zum Teil heftig tun. Du kannst aus einer untalentierten Fußballerin, die nicht mit dem Ball umgehen kann, schwer eine gute Technikerin machen. Aber im Konditionsbereich kann man durch richtig dosiertes und gesteuertes Training eine Menge bewegen. Diesen Joker sollte man sich nicht aus der Hand nehmen lassen. Deshalb versuchen wir, uns immer weiter zu verbessern, immer wieder neue Trainingsmethoden einzuführen.
DFB.de: Sie führen auch Leistungstests im Juniorinnenbereich durch. Ab welchem Alter ist es denn sinnvoll, Fitnesstraining zu machen?
Norbert Stein: Nach unserer Auffassung bringt es überhaupt nichts, mit körperlich orientiertem Training erst im Frauenbereich anzufangen. Ganz im Gegenteil, wir haben langfristig angelegte Projekte, die einen roten Faden darstellen sollen. Wir arbeiten gerade daran, ein Krafttrainingskonzept für den Frauenfußball aufzustellen, beginnend bei der U 15 bis in den Frauenbereich hinein. Sämtliche Spielerinnen sind jetzt schon mit entsprechenden Trainingshinweisen versorgt. Da hat jede Mannschaft eine auf sie zugeschnittene Mappe, ein eigenes Trainingsbuch, einen Rahmentrainingsplan vom DFB bekommen, den wir erstellt haben. Dieser ist natürlich abgestuft und nimmt auf die körperliche Entwicklung Rücksicht. Er soll das Individualtraining, welches wir ja unterstützen, begleiten. Und dieser rote Faden beinhaltet auch, dass wir ab der U 15 in jeder Jahrgangstufe Leistungstests durchführen. Dieses Testinstrumentarium wird dann natürlich immer ausgedehnter, immer vielschichtiger bis zu den komplexen Tests im Frauenbereich. Bei der U 15 beschränken wir uns auf einige wesentliche Tests: Grundlagenausdauer und vor allem grundlegendes Schnelligkeitsverhalten.
DFB.de: Wenn Sie schon so früh mit den Leistungstests anfangen: Welche Konsequenzen hat das langfristig?
Norbert Stein: Wir wollen nichts dem Zufall überlassen. Wenn bei einer Spielerin das fußballerische Talent erkannt worden ist, wollen wir sie so früh wie möglich auf ihrem Weg begleiten. Dadurch schaffen wir natürlich eine bessere Basis, um die Spielerinnen später in die Nationalmannschaften einzubauen. Spielerinnen wie jetzt gerade Alexandra Popp, die gegen Nordkorea erstmals im A-Team dabei ist, haben wir schon seit langem erfasst. Und das gibt uns natürlich eine gute Übersicht darüber, wo sie sich noch weiter entwickeln müssen, um sich im Frauenbereich etablieren zu können. Dass etwa Alexandra Fußball spielen kann, das hat sie schon bewiesen - jetzt muss sie beweisen, dass sie die etwas intensivere Gangart im Frauenbereich mitgehen kann. Aber sie wäre mit Sicherheit nicht oben angekommen, wenn die Leistungswerte nicht gestimmt hätten.
DFB.de: Spielerinnen und Trainerinnen haben Nutzen von diesen Daten. Profitieren auch andere von diesen Informationen?
Norbert Stein: Ja, wir versuchen, uns untereinander, so gut es geht, zu vernetzen. Das heißt: Unsere Physiotherapeuten und unsere Ärzte können auch auf diese Daten zurückgreifen, dies im Hinblick auf Verletzungsprophylaxe. Eine wesentliche These beispielsweise zum Thema Kreuzbandverletzungen ist - und die vertritt auch Bernd Lasarzewski, der Teamarzt der Frauen-Nationalmannschaft -, dass eine Spielerin, die körperlich robust und athletischer ist, weniger Gefahr läuft, sich eine derartige Verletzung zuzuziehen. Und es gibt noch eine Gruppe, die von den Daten profitiert: Das sind die Vereine, die von uns Rückmeldung bekommen über den körperlichen Zustand ihrer Spielerinnen.
DFB.de: Sind die Leistungstests insofern ein Beitrag zur "Gläsernen Athletin"?
Norbert Stein: Ich bin froh, dass wir noch nicht den "Gläsernen Athleten" haben. Den wünsche ich mir nicht, da jeder Athlet ein Individuum ist und einen persönlichen Charakter hat. Wir machen die Leistung transparenter. Das darf man aber nicht negativ sehen, denn in erster Linie profitiert die Spielerin ja davon. Wir wollen sie nicht "nacktscannen", wir wollen ihr helfen, persönliche Defizite zu erkennen, und ihr die entsprechende Unterstützung für die Trainingsgestaltung geben.
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