Stürmer werden an ihren Toren gemessen. Ein Allgemeinplatz, der sich etabliert hat. Allein darauf reduziert zu werden, widerstrebt Birgit Prinz.
Die Spielführerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft hat zwar mit 123 Länderspiel-Treffern ihre Torgefährlichkeit hinlänglich zur Schau gestellt, dennoch muss sie sich nach gerade mal drei Spielen ohne persönliches Erfolgserlebnis bei der EURO 2009 in Finnland zu diesem Thema äußern.
Es entstand ein außergewöhnliches Gespräch, in dem die dreifache Weltfußballerin des Jahres interessante Einblicke in ihr Seelenleben gewährt und eine offene Einschätzung ihrer aktuellen Situation liefert. DFB-Redakteur Niels Barnhofer schrieb mit.
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Rekordtorjägerin: Birgit Prinz |
Frage: Birgit Prinz, Sie haben nach dem Frankreich-Spiel gesagt, dass Gefühl zu haben, noch nicht richtig im Turnier zu sein. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Birgit Prinz: Gegen Norwegen lief es für mich ganz gut. Da habe ich nur das Tor nicht getroffen, das ich hätte machen müssen. An sich war ich gut im Spiel drin. Gegen Frankreich hatte ich das Gefühl, dass mein Timing nicht richtig passt und ich deswegen nicht ins Spiel fand. Es lief einfach nicht von selbst. Eine Erklärung dafür zu finden, ist schwierig. Sicherlich fehlt mir ein bisschen Spielpraxis. Ich hatte lange ausgesetzt, nachdem ich mir im April gegen Brasilien einen Rippenbruch zugezogen hatte. Und manchmal ist es auch so, dass es nicht so laufen will, wie man es gerne hätte. Für mich gibt es keine wirkliche Erklärung dafür.
Frage: Glauben Sie, dass, wenn Sie treffen würden, der Knoten platzen würde?
Birgit Prinz: Ehrlich gesagt, geht mir das auf die Nerven. Nach zwei Spielen geht die Diskussion los, warum ich nicht treffe. Ich habe dann das Gefühl, ich muss mich rechtfertigen, warum ich nicht getroffen habe. Was ich, ehrlich gesagt, sehr anstrengend finde. Da habe ich selbst auf dem Spielfeld das Gefühl, ich fange noch mehr an, darüber nachzudenken. Was mich dann noch mehr hemmt. Sicherlich läuft es leichter, wenn man mal getroffen hat.
Frage: Gibt es Momente im Spiel, in denen Sie daran denken, dass man von Ihnen Tore erwartet?
Birgit Prinz: Immer kann ich nicht abschalten. Gerade wenn zwei, drei Aktionen hintereinander misslungen sind, dann ist mir dieser Gedanke präsenter.
Frage: Besteht dann die Gefahr, dass Sie in Situationen, in denen Sie besser abspielen sollten, selbst auf das Tor schießen?
Birgit Prinz: Das entspricht nicht meinem Naturell. Das ist völlig gegen meine Fußball-Philosophie. So zu wider meiner selbst handele ich nicht. Ich will mit der Mannschaft Erfolg haben, das ist mir ganz wichtig. Und nur weil es mich nervt, Journalisten-Fragen zu beantworten, sage ich nicht, ich mache jetzt mein Ego-Ding und versuche ein Tor zu erzielen.
Frage: Welche Resonanz erhalten Sie von Ihren Mitspielerinnen?
Birgit Prinz: Die sind eher süß. Die unterstützen mich genauso wie Silvia Neid. Die sehen das auch nicht so problematisch an. Wir schießen ja unsere Tore und es ist auch nicht so, dass ich an keinerlei Toraktion beteiligt bin. Wenn ich jetzt völlig grottig spielen würde, dann nicht treffen würde, dann wäre es kritisch. So habe ich das Gefühl – ich gebe jetzt mal die Schuld ans Kollektiv –, dass die Journalisten mich hinterfragen. Ich fühle mich derart angegriffen, dass ich nicht weiß, ob ich überhaupt noch das Recht habe zu sagen, mein Ziel ist die WM 2011, wenn ich hier nicht mehr treffe.
"Vom Kopf her kann ich das absolut"
Frage: Die Frage entsteht ja aus Ihrer grandiosen Vorgeschichte, in der Sie ja unheimlich viele und wichtige Tore geschossen haben. Können Sie diese Diskussion nicht dahingehend einordnen, dass dieses Zählen der torlosen Minuten zum Schicksal der Torjägerinnen gehört?
Birgit Prinz: Doch, vom Kopf her kann ich das absolut. Das kann ich kognitiv sehr gut einordnen. Ich weiß auch, dass das der Job der Journalisten ist. Und ich weiß auch, wie die Medien funktionieren. Ich weiß, es gibt weiß und es gibt schwarz. Aber es fühlt sich deswegen nicht anders an. Man kann es zwar relativieren, aber es fühlt sich nicht anders an. Und das macht halt den Unterschied.
Frage: Wobei es nicht ganz so schwarz ist, wie Sie es jetzt dargestellt haben…
Birgit Prinz: Genau, ich bin jetzt auch auf der Schwarz-und-weiß-Seite. Es gibt natürlich auch die Grau-Bereiche. Und ganz so krass empfinde ich es auch nicht. Aber im Prinzip sehe ich es so.
Frage: Die Journalisten sehen schon noch Ihre Leistungen…
Birgit Prinz: Klar, aber es ist dann auch mein Part. Wenn ich selbst sage, ich bin nicht ganz zufrieden mit dem, was ich mache, dann ist man auch empfänglicher für die Kritik.
Frage: Es gibt in den Spielen Situationen, in denen Sie vier, fünf Gegenspielerinnen auf sich ziehen und dadurch den eigenen Mitspielerinnen Freiräume schaffen. Merken Sie das selbst, dass Sie von den Gegnerinnen nach wie vor anders wahrgenommen werden?
Birgit Prinz: Im Spiel sehe ich das nicht unbedingt. Anschließend kriege ich das gesagt. Aber ich finde es dann schwierig, es persönlich einzuordnen. Ist das eine Ausrede, die ich für mich selbst suche? Oder ist das Realität? Und deswegen schwanke ich zwischen beiden Polen hin und her.
Frage: Aber die Video-Analysen der Trainerinnen sind doch großer Bestandteil der Arbeit in der Nationalmannschaft…
Birgit Prinz: Dadurch kriege ich es dann auch besser relativiert. Dennoch sind die kritische und skeptische Seite einfach ein Teil dessen, wie ich funktioniere. Das hat Vor- und Nachteile.
Frage: Müsste diese kritische Seite weg sein, um richtig erfolgreich zu sein?
Birgit Prinz: Jetzt muss ich in meine Vergangenheit gehen. Vor diesem Hintergrund würde ich sagen: Nein, nicht unbedingt. Aber in manchen Situationen würde es mir das Leben erleichtern.
"In manchen Momenten erlebt man die Dinge auch etwas intensiver"
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Rückhalt: Die Mannschaft, hier Inka Grings (l.), steht hinter Birgit Prinz |
Frage: Das könnte Ihre letzte EM sein. Erlebt man da das Ganze noch intensiver?
Birgit Prinz: Ja, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass es meine letzte EM ist. Von daher erlebt man in manchen Momenten die Dinge auch etwas intensiver. Aber in anderen auch gar nicht. Da ist es die gewohnte Routine. Aber es kommt immer mal hoch und da denkt man: Oh, das letzte Mal…
Frage: Wann denn zum Beispiel?
Birgit Prinz: Das ist völlig unterschiedlich. Das kann sein, wenn man spazieren geht, es kann aber auch direkt vor dem Spiel sein.
Frage: Aber nicht im Spiel.
Birgit Prinz: (lacht) Nein, in einem Spiel habe ich wirklich noch nicht darüber nachgedacht. Das wäre echt bitter. Wenn das passieren würde, wäre ich gar nicht im Spiel drin. Dann wäre ich mit meinen Gedanken zu weit weg, das wäre echt nicht gut.
Frage: Was macht Ihr Studium?
Birgit Prinz: Ich bin zufrieden. Es geht voran. Ich schreibe gerade meine Diplom-Arbeit. Ich bin jetzt scheinfrei, aber im Anschluss kommen noch die Prüfungen. Ich habe ein halbes Jahr Zeit, um die Diplom-Arbeit abzugeben. Sie ist schon angemeldet.
Frage: Das heißt, Sie haben hier bei der EURO auch Ihre Studienunterlagen dabei?
Birgit Prinz: Ja, genau. Ich habe jeden Morgen ab 8.30 Uhr meine Arbeitszeit. Bis zum ersten Training auf jeden Fall. Das ist die feste Zeit. Und manchmal auch mittags. Also ich mache definitiv hier etwas für das Studium. Ich habe das jetzt so getimt, dass ich vor 2011 fertig sein kann.