Dienstag, 1. September 2009

Interview mit Nadine Angerer

31.08.2009 09:58 Frauen-EM 2009

Nadine Angerer: "Wir können uns nur selbst schlagen"

Gewohnt sicherer Rückhalt: Nadine Angerer  © Bongarts/GettyImages
Gewohnt sicherer Rückhalt: Nadine Angerer

Nadine Angerer war in den ersten drei Spielen bei der EURO 2009 ein sicherer Rückhalt für die deutsche Frauen-Nationalmannschaft. Im entscheidenden Moment war auf die Torfrau des 1. FFC Frankfurt Verlass.

Wie sie es schafft, trotz geringer Beschäftigung immer konzentriert und fokussiert zu bleiben, über das Steigerungspotenzial der Mannschaft und das Viertelfinale am kommenden Freitag in Lahti, darüber spricht die 30-Jährige im "DFB.de-Gespräch der Woche" mit DFB-Redakteur Niels Barnhofer.

Frage: Nadine Angerer, die DFB-Auswahl ist mit drei Siegen in die EURO 2009 gestartet, hat sich souverän für das Viertelfinale qualifiziert. Wie haben Sie diese drei Partien erlebt?

Nadine Angerer: Sie waren körperlich nicht so beanspruchend. Ich habe zwei, drei Aktionen gehabt, die wichtig waren. Ansonsten haben meine Vorderleute das Nötigste getan, um mir jeweils einen ziemlich ruhigen Nachmittag zu bescheren.

Frage: Sie haben nicht viele Bälle zu halten bekommen. Wie schwierig ist es da, im Spiel zu bleiben, den Fokus und die Konzentration beizubehalten?

Angerer: Das stimmt, dass das nicht ganz einfach ist. Aber das weiß ich. Ich kann mich sehr gut konzentrieren. Ich kenne diese Situation, die habe ich über die Jahre schon tausend Mal erlebt. Wenn man jung ist, geht das auch oft genug daneben. Aber wenn man erfahrener ist, weiß man, dass zwischen der 85. und 93. Minute immer noch ein Ball aufs Tor kommt. Ich habe versucht, mich so gut wie möglich im Spiel zu halten.

Frage: Kann man das trainieren?

Angerer: Nein, ich glaube, das bringt die Erfahrung mit sich. Ich habe es mir über die Jahre angeeignet, so fokussiert zu bleiben. Ich weiß einfach, dass jede Sekunde etwas passieren kann.

Frage: Gegen Norwegen verhinderten Sie kurz vor dem Ende in einer Eins-gegen-eins-Situation den Ausgleich. Was geht in solchen Momenten in Ihnen vor?

Angerer: Speziell in dieser Situation dachte ich mir, dass dieser Ball auf gar keinen Fall reingehen darf. Weil der Ausgleich so was von ungerechtfertigt gewesen wäre, das konnte ich einfach nicht zulassen. Ich kassiere ohnehin nicht gerne Tore, aber gerade in diesem Spiel wäre es so unverdient für die Norwegerinnen gewesen, so dass ich den Ball unbedingt halten wollte. Und das habe ich ja zum Glück auch getan.

Frage: Reagiert man bei solchen Szenen instinktiv oder gibt es eine Checkliste, die Sie innerlich durchgehen?

Angerer: Da bleibt einem nicht viel Zeit zum Nachdenken. Ich glaube, es ist auch eine Willenssache, den Ball unbedingt halten zu wollen. Denn dann geht der auch nicht rein. Und so war das ja auch in dieser Situation.

Frage: Auf einem Leistungsbarometer mit einer Skala bis 100 – wo würden Sie Ihre derzeitige Form ansiedeln?

Angerer: Ich will und kann das nicht in Punkten oder Prozent ausdrücken. Keine Ahnung, was ich da sagen soll. Stattdessen habe ich eine ganz einfache Formel: Da ist der Ball, da ist das Tor – und der Ball darf nicht ins Tor. Wie das letztlich passiert, ist mir relativ egal. Ich bin derzeit auf einem ziemlich hohen Niveau. Ich fühle mich gut, ich bin körperlich fit.

Frage: Bisher hat die DFB-Auswahl bei der EURO im Drei-Tage-Rhythmus gespielt. Jetzt haben Sie eine Pause von fünf Tagen bis zum Viertelfinale am kommenden Freitag. Ist es gut, eine längere Regenerationsphase zu haben? Oder befürchten Sie so aus dem Rhythmus zu geraten?

Angerer: Ach Quatsch, Rhythmus hin, Rhythmus her. Wir hatten drei Spiele in sieben Tagen, da tut es einfach jedem Mal gut, eine längere Wettkampfpause zu haben. Mir ist es egal, wann gespielt wird.

Frage: Wo führt die Leistungskurve der Mannschaft hin?

Angerer: Wir haben noch nicht das gezeigt, was wir können. Wir müssen weiter konzentriert arbeiten. Denn ich bin davon überzeugt, dass das Turnier jetzt erst richtig beginnt. Wenn man auf die einzelnen Spiele eingeht, muss ich sagen, dass wir gegen Norwegen bis auf die Chancenauswertung ein sehr gutes Spiel gemacht haben. Gegen Frankreich haben wir ziemlich schnell 4:0 geführt. Da würde man sich natürlich wünschen, dass jede Spielerin auf dem Platz konzentriert bleibt, aber ich finde es nur menschlich, dass das dann nicht funktioniert. Gegen Island war es eine genauso schwierige Situation. Ich hatte mir natürlich ein bisschen mehr erhofft, da kann man noch eine Schippe drauflegen.

Frage: Ist das nicht Kritik auf hohem Niveau? Wenn man sich die Statistik des Island-Spiels anguckt, stehen 19:3 Torschüsse zu Buche, worin sich die Dominanz der deutschen Mannschaft doch ausdrückt.

Angerer: Das stimmt, aber das hilft alles nichts, wenn die Tore nicht fallen. Der Schuss kann ganz schnell nach hinten losgehen. Gegen Norwegen kann das 1:1 fallen, vielleicht wäre das Spiel sogar noch gekippt. Wir haben gegen Frankreich 5:1 gewonnen, aber die Französinnen hatten auch vier sehr gute Chancen, die Partie hätte also auch unentschieden ausgehen können. Wir sind uns daher bewusst, dass wir uns auf einem sehr schmalen Grad bewegen. Nichtsdestotrotz haben wir die Spiele gewonnen und wir haben uns dabei ein ordentliches Polster aufgebaut. Aber jetzt zählt nur noch das nächste Spiel, weil es um Gewinnen oder Heimfahren geht. Im Viertelfinale müssen alle wieder bei 100 Prozent sein. Es gibt keine Ausreden.

Angerer: "Wir haben noch nicht alles gezeigt"  © Bongarts/GettyImages
Angerer: "Wir haben noch nicht alles gezeigt"

Frage: Spricht daraus der Anspruch der Mannschaft an sich selbst?

Angerer: Absolut. Wer es nicht kapiert hat, dass das Viertelfinale kein Spaziergang sein wird, der wird sich umschauen.

Frage: Sehen Sie dem weiteren Turnierverlauf dennoch optimistisch entgegen?

Angerer: Ja, weil ich weiß, was in der Mannschaft steckt, dass wir einen sehr guten Teamgeist haben, dass sich jede für die andere einsetzt, dass wir uns auf einem sehr hohen Niveau befinden und dass wir uns eigentlich nur selbst schlagen können. Es muss aber jeder Spielerin bewusst sein, dass wir 100 Prozent abrufen müssen.

Frage: Haben Sie andere Spiele der EURO im Fernsehen verfolgt? Welchen Eindruck haben Sie bisher vom Niveau?

Angerer: Ich konnte nicht jedes Spiel sehen. Aber von dem, was ich gesehen habe, muss ich sagen, dass Schweden den stärksten Eindruck hinterlassen hat, von ihnen bin ich wirklich sehr positiv überrascht. Von den Niederländerinnen hatte ich nicht unbedingt erwartet, dass sie den Sprung ins Viertelfinale schaffen. Genauso hatte ich nicht damit gerechnet, dass Dänemark nur auf Platz 3 in der Vorrundengruppe landet. Bei Finnland hatte ich es mit dem Heimvorteil erwartet, dass sie sich durchsetzen. Eigentlich sehe ich aber keine Mannschaft, die uns das Wasser reichen kann, wenn jede Spielerin von uns alles abruft.

Frage: Im Viertelfinale trifft die DFB-Auswahl auf den Zweiten der Gruppe C. Gibt es einen Gegner, den Sie bevorzugen würden?

Angerer: Ich persönlich präferiere Italien. Ich will auf keinen Fall jetzt schon gegen Schweden spielen. England wäre auch eine harte Nuss.

Frage: Theoretisch wäre ein Halbfinale gegen Schweden möglich. Verschwenden Sie daran schon einen Gedanken?

Angerer: Wenn es so kommt, wäre es meiner Meinung nach das vorweggenommene Endspiel. Aber es wäre fatal, jetzt schon daran zu denken. Mir wird ein wenig zu viel darüber gesprochen. Ich habe das Gefühl, das Viertelfinale wird darüber vergessen. Und das wird ein schweres Spiel werden. Und ich flippe aus, wenn ich die kommenden Tage nur noch Halbfinale höre. Erstmal müssen wir das Viertelfinale gewinnen.

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